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Wissen ist Macht: Vortrag an der Waldorfschule Rendsburg (22.05.2008)

Freiheitsredner Patrick berichtet über eine Vortragsveranstaltung auf den Oberstufentagen der Waldorfschule in Rendsburg.

 

Über 100 Oberstufenschülerinnen und -schüler lauschten in dem gefüllten Saal meinem Vortrag mit dem Titel "Wissen ist Macht". Der Einstieg war plastisch: Ich schilderte das Beispiel einer videoüberwachten Schule in Sheffield, an der Videoaufzeichnungen selbst in den Toiletten gemacht und auch zur Disziplinierung der Schüler eingesetzt werden. Auf die Frage, ob es sich um ein fiktives Beispiel handele, waren sich die Schüler einig: Das ist Wirklichkeit. Die meisten tippten aber auch richtig, dass das Beispiel nicht aus Deutschland ist.

 

Anhand wissenschaftlicher Studien (u.a. des "honesty box"-Experiments) habe ich die Auswirkungen von Überwachung auf unser Verhalten vorgestellt und darauf hingewiesen, dass diese Auswirkungen auch diejenigen treffen, die sich nichts haben zuschulden kommen lassen. Natürlich sollte man versuchen, Straftaten zu verhindern, anstatt zu warten, bis das Kind in den Brunnen gefallen ist - die Frage ist nur, mit welchen Mitteln? Dass es keine Lösung sein kann, den Brunnen zuzumauern oder das Kind einzusperren, schien den Zuhörern einzuleuchten. Hiervon ausgehend habe ich dann diskutiert, welche Maßnahmen zur Verhinderung von Straftaten sinnvoll sein können (z.B. gezielte Überwachung, bessere Ausstattung der Behörden, Integration, Bildung, Präventionsarbeit mit gefährdeten Personen) und welche zu weit gehen (z.B. Erfassung der gesamten Bevölkerung mit Vorratsdatenspeicherung oder biometrischen Ausweisen).

 

Auf Erstaunen schien zu stoßen, wie gering die "Bedrohung durch Kriminalität" objektiv gesehen ist. Wichtig war auch der Hinweis darauf, dass Sicherheits- und Überwachungsstaaten wie die USA und Großbritannien eine erheblich höhere Kriminalitätsrate aufweisen als Deutschland.

 

Einige Gründe, warum wir unseren Behörden strenge Grenzen bei ihren Maßnahmen auferlegen, habe ich anschließend vorgestellt: Die historischen Erfahrungen des dritten Reiches, Missbrauchs- und Irrtumsfälle, die bis heute immer wieder vorkommen. Ich nannte konkrete Beispiele, wie man unschuldig in Ermittlungen verwickelt werden kann (z.B. Teilnahme an Fußballspiel, auf dem es zu Ausschreitungen kommt; Einreise in die USA). Internen Untersuchungen der Polizei zufolge werden nicht weniger Polizisten straffällig als andere Personen. Ausgehend davon habe ich hoffentlich das laut Umfragen weit verbreitete blinde Vertrauen in den Staat relativieren und in ein gesundes Maß an Realismus umwandeln können. Rechtsstaatliche Grenzen dienen dem Schutz Unschuldiger vor solchen staatlichen Vor- und Fehlurteilen. Dabei nehmen wir in Kauf, dass deswegen einige Straftaten nicht verhindert werden können. Trotzdem leben wir insgesamt sicherer als in Staaten, die versuchen, "alles Menschenmögliche" im Namen der Sicherheit zu tun.

 

Etwas näher an den Schüler/innen dran waren die anschließenden Ausführungen zur Datenverwendung in der Privatwirtschaft. Hier werden Daten verwendet, um Personen nach ihrem Einkommen zu klassifizieren und sortieren, was dazu führen kann, dass man keinen Handyvertrag oder kein Konto mehr bekommt. 10 Dinge, die man konkret zum Schutz seiner Daten unternehmen kann, stellte ich dann anhand eines zuvor verteilten Infoblatts vor.

 

Ich stellte auch den Arbeitskreis Vorratsdatenspeicherung vor und warb um Mitarbeit. Auf Interesse stießen dessen kreative und vielfältige Aktionsformen: Infostände aufstellen und Passanten mit einer Pappkamera auf dem Kopf nachlaufen, Demos organisieren, Flashmobs durchführen (z.B. Anbeten von Überwachungskameras in der Innenstadt), Diskussionsrunden veranstalten und viel mehr. Im Anschluss an die Veranstaltung überlegten dann auch drei Schüler, eine eigene Ortsgruppe aufzumachen.

 

Abschluss des Vortrags bildete eine Schilderung des Video-Überwachungssystems in Middlesborough, wo die Videokameras mit Lautsprechern gekoppelt sind und eine Ermahnung erschallt, wenn man Abfall fallen lässt. Diese Schilderung schien bei dem Publikum Lacher auszulösen, in einem zweiten Schritt sicherlich aber auch Nachdenklichkeit.

 

An den etwa 45-minütigen Vortrag schloss sich eine erfreulich ausführliche, fast ebenso lange Diskussion an. Es wurden Fragen zu einzelnen Überwachungsmaßnahmen gestellt. Ich stellte Vorratsdatenspeicherung, BKA-Gesetz, biometrische Vollerfassung, Fluggastdatenspeicherung und elektronische Gesundheitskarte vor. Einig waren wir uns, dass die gezielte Überwachung von Verdächtigen möglich sein solle. Was aber die Speicherung aller Verbindungsdaten der gesamten Bevölkerung angeht, kommentierte eine Schülerin nach der Veranstaltung, das sei "ja schon fast wie in der DDR." Viele kannten die Vorratsdatenspeicherung offenbar vor der Veranstaltung noch nicht.

 

Eifriges Raten zog die Frage an das Publikum nach sich, wieviele Menschen in den letzten 10 Jahren in Deutschland an Terroranschlägen gestorben sind. Die Schätzungen gingen von 100 über 20 bis hin zu 0 - was natürlich korrekt ist. Ein Schüler fragte, warum die Politik Überwachung so forciert, obwohl stärker überwachte Staaten unsicherer sind. Ich habe dann versucht, die Logik des Einzelfalls zu erklären. Ein anderer Schüler wies zutreffend darauf hin, dass die Medien eine Mitschuld an der Terrorangst tragen. Eine Schülerin überlegte, ob die USA eine Mitschuld an den dortigen Anschlägen trifft.

 

Auf die Frage, wer eine Payback-Karte benutzt, outeten sich etwa 10 Schülerinnen und Schüler. Wie wenig vielen von uns unsere Daten wert sind, machte ich an den Experimenten deutlich, Menschen ihre Passwörter durch das Angebot einer Tafel Schokolade zu entlocken. Die Schüler meinten hier übrigens, dass weitaus mehr Menschen bereit seien, ihre Passwörter preiszugeben. Ich habe noch einmal in Erinnerung gerufen, welche Nachteile die Verfügbarkeit solcher Daten nach sich ziehen kann, weshalb unsere Daten uns etwas wert sein sollten.

 

Nach 90 Minuten endete die Veranstaltung. Die Schülerinnen und Schüler nahmen den Infoflyer "Freiheit statt Angst" und eine Kopie der 10 Tipps mit nach Hause. Auf dem Weg aus der Schule fragte mich eine Schülerin noch: "Muss ich jetzt mein SchülerVZ-Konto löschen?" Wenn sich die Zuhörer nun solche Fragen stellen, hat die Veranstaltung etwas bewirkt.